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Das Geheimnis von Hof Engelsbach

Das bunte, auf den Wegen liegende Herbstlaub raschelte, als Finja, Tobias, Felix und Elisa mit ihren Fahrrädern durch den Wald düsten. Es waren Herbstferien und sie waren auf dem Weg zu Finjas Zuhause, die gemeinsam mit ihren Eltern auf einem Bauernhof lebte. „Hey wartet! Nicht so schnell!“, rief Tobias aus einiger Entfernung und trat mühsam in die Pedalen. Die anderen hatten ihn inzwischen gut abgehängt, was aber auch daran liegen konnte, dass Tobias samt Rucksack und mehrerer Tüten schwer bepackt war. Für die anstehende Übernachtung auf dem Heuboden hatte er für sich und seine Freunde einiges an Proviant mitgenommen. Zum Glück jedoch hatten sie die Schlafsäcke und Isomatten schon einen Tag zuvor in die geräumige Scheune gebracht. „Das kommt davon, wenn man den halben Kiosk leerkauft und sich den Drahtesel so voll packt!“, rief Finja Tobias lachend hinterher. „Los, beeil dich! Wir wollen doch ankommen, bevor es dunkel wird!“, entgegnete Felix, der mit Karacho über die Stöcker und Steine des Waldbodens bretterte. Es war nicht mehr weit bis zum Hof, Tobias musste nur noch eine letzte Steigung nehmen und konnte dann ganz entspannt dem Zielort entgegen rollen. Trotzdem war er ganz außer Atem, als er am Fuße des Hügels wieder zu den anderen stieß. „Puh“, keuchte er laut. „Für heute habe ich meine Sporteinheit erfüllt. Und mir meine Süßigkeiten mehr als verdient.“ Gemeinsam stellten sie ihre Fahrräder in dem Lagerraum unterhalb des Heubodens ab und gingen zunächst in das Wohnhaus von Finjas Eltern, um diese zu begrüßen. Tobias ließ sein Gepäck vorerst an Ort und Stelle bei den Fahrrädern, um dieses nicht unnötig hin und her tragen zu müssen.

Gemeinsam mit Finjas Familie aßen sie Abendbrot und machten sich anschließend wieder auf den Weg zum Heuboden. Inzwischen war es dunkel geworden, sodass Felix eine der zwei Taschenlampen einschaltete, die Finjas Vater ihnen zuvor gegeben hatte. Momentan war das Licht rund um die Scheune kaputt, sodass sie sich mit anderen Mitteln helfen mussten. Als sie das Gebäude erreicht hatten, kletterten sie direkt über die Holzleiter in die obere Etage. Nur Tobias war noch an den Fahrrädern zugange, um seinen wertvollen Proviant zu holen. „Hey, macht mir doch nochmal etwas Licht!“, rief er seinen Freunden hinterher. Seine Bitte wurde jedoch nicht gehört und so suchte er sich im Dunkeln unter Klappern und Klirren seine Taschen zurecht. Etwas verspätet stieß er zu den anderen, die es sich bereits in ihren Schlafsäcken gemütlich gemacht hatten und in einem Kreis um eine kleine Lampe herum saßen. Tobias nahm ebenfalls Platz und öffnete eine Tüte Kekse. „Wir haben doch gerade erst gegessen!“, warf Finja ihm vor. „Ja“, antwortete Tobias und nahm einen ersten Bissen. „Aber Kekse sind ja eine Form von Nachtisch und für den hat man Bekannterweise immer ein kleines Bisschen Platz frei.“ Finja rollte mit dem Augen, doch sie konnte nichts mehr auf diese Aussage erwidern, da Elisa abrupt das Thema wechselte. „Wollen wir uns nicht lieber mit etwas wirklich Spannendem beschäftigen?“, fragte sie in die Runde und zückte ein uralt aussehendes Buch hervor. „Was genau soll das werden, willst du uns etwa eine Schlafgeschichte vorlesen?“, fragte Felix ungläubig und lachte laut auf. „So ein Quatsch!“, verteidigte sich Elisa. „Das hier ist die Sammlung der mysteriösen Dorflegenden. Hier ist alles rund um Geheimnisse, Mythen und Sagen detailliert aufgeschrieben und verewigt. Ich habe das Buch bei meiner Omi gefunden und ausgeliehen, da ich dachte, die Geschichten passen perfekt zu unserer Übernachtung auf dem Heuboden. Es soll sich einst Unglaubliches hier auf dem Hof von Finjas Eltern zugetragen haben.“ Elisas Augen funkelten und es war deutlich zu sehen, dass sie das Vorlesen des Inhaltes kaum abwarten konnte. „Ich finde die Idee super!“, warf Finja ein. „Ja, leg los, ich bin ganz Ohr“, entgegnete Tobias, der kurz aufgehört hatte zu kauen. Nun war auch Felix überzeugt und schenkte Elisa seine Aufmerksamkeit. Mit geheimnisvoller Stimme begann sie zu lesen. Oktober 1895, Hof Engelsbach Es war eine kühle und neblige Nacht, als die jüngste Tochter des Hofbesitzers spurlos verschwand. Esther Engelsbach hatte bereits in ihrem Bett gelegen und war gerade im Begriff gewesen, die Kerze auf ihrem Nachttisch auszupusten, da hörte sie ein leises Klopfen an ihrer Fensterscheibe. Schlagartig hellwach setzte sie sich auf und blickte nach draußen, doch dort war niemand zu erkennen, der sich ihrem Zimmer von außen hätte genähert haben können. Kurz darauf war ebenfalls ein leises Scharren zu hören, das von den nahe gelegenen Stallungen ausging. Esthers Neugier wurde geweckt und sie spürte den deutlichen Drang, herauszufinden, wer oder was die Ursache für diese Geräusche war. Mit einer Öllampe bewaffnet schlich sie auf leisen Sohlen durch das Haus, unbemerkt von jeglichen Familienmitgliedern, und verließ den sicheren Schutz des Gebäudes. Barfuß und nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet trat sie durch die Eingangstür in die eisige Herbstluft. Elisa unterbrach die Geschichte für einen Moment „Die Stallungen! Damit ist diese Scheune gemeint, in der wir uns jetzt gerade befinden.“ „Da hast du recht“, entgegnete Finja. „Früher waren hier noch Pferde und andere Tiere untergebracht, aber heutzutage dient sie zum größten Teil der Lagerung unserer Geräte und Maschinen.“ „Das ist ja alles schön und gut, ich möchte aber endlich wissen, was genau sich hier abgespielt hat!“, warf Felix ein, der ungeduldig mit dem Reißverschluss seines Schlafsacks spielte. Tobias machte große Augen und war inzwischen von Keksen auf Salzstangen umgestiegen, von denen er eine nach der anderen knabberte. Anscheinend hatte die Geschichte auch ihn schon völlig in ihren Bann gezogen. Elisa richtete ihren Blick wieder auf das Buch und fuhr fort. Esther spürte die kalte, nasse Erde unter ihren Füßen. Der Lichtkegel ihrer Lampe war nahezu winzig und erleuchtete nur kläglich den dunklen Weg, der vor ihr lag. In der Ferne rief ein Käuzchen und der Wind raschelte durch das trockene Laub, das nur noch dürftig an den Bäumen hing. Teilweise hörten die frischen Briesen sich an wie ein Flüstern, doch Esther konnte keine Worte aus dem undeutlichen Zischen heraushören. Das Scharren, Knarzen und Ächzen, das sie zuvor von ihrem Zimmer aus vernommen hatte, wurde immer lauter und deutlicher, je näher sie den Stallungen kam. Was ging dort vor sich? Esther stellte ihre Lampe auf dem Boden ab, um das schwere Scheunentor öffnen zu können und sich so von drinnen einen Überblick über das unerklärliche Geschehen verschaffen zu können. „Hört ihr das nicht auch?“, Tobias unterbrach Elisas Vortrag und legte einen Zeigefinger an seine Lippen. „Dieses Scharren, diese Geräusche die in der Geschichte beschrieben werden… Hier war eben etwas, ganz nah!“ Die anderen sahen ihn ungläubig an. Trotzdem verhielten sie sich zunächst ganz still, um den vermeintlichen Lauten ebenfalls lauschen zu können. „Also ich höre nichts“, sagte Finja schließlich. „Vielleicht erschreckst du dich schon vor dem Rascheln deiner eigenen Keksverpackung.“ Die vier lachten und auch Tobias beruhigte sich allmählich wieder. „Ich bin mir aber ganz sicher, etwas gehört zu haben“, beharrte er trotzdem. „Wir werden ab jetzt auch darauf achten“, versicherte Elisa. „Aber wahrscheinlich war es nur der Wind. Übrigens könnte ich jetzt auch einen Keks vertragen…“, gekonnt warf Tobias die Packung zu Elisa herüber, die sich nun ebenfalls über das süße Gebäck hermachte. Folglich nahm Finja sich das Buch und las den anderen weiter vor. Esther schob das Tor zur Seite und blickte in die düstere Scheune. Die Tiere hatten sich höchstwahrscheinlich schon längste alle zum Schlafen hingelegt, sodass nur vereinzeltes Schnauben und leises Rascheln zu hören war. Sie trat weiter in das Innere des Gebäudes und suchte nach einem Hinweis für den Ursprung der seltsamen Geräusche, die sie hierher gelockt hatten. Merkwürdigerweise jedoch, fühlte sie sich beobachtet, so, als stünde jemand direkt hinter ihr. Rasch drehte sie sich um, sodass die Lampe in ihrer Hand heftig nach links und rechts schaukelte. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug und wie sie urplötzlich nach Luft rang. Nichtsdestotrotz befahl sie sich, sich wieder zu beruhigen. Hinter ihr war niemand. Die Sinne spielten ihr lediglich einen Streich, also musste sie besonnen bleiben und durfte sich von diesen Täuschungen nicht in die Irre führen lassen. Sie nahm ihren Mut zusammen und ging langsamen Schrittes weiter in den Stall hinein, zu der Box, in der ihr Lieblingspferd stand. Behutsam berührte sie das Fell des dösenden Tieres und genoss für einen Augenblick die Wärme, die von dem Wallach ausging. Ein helles Aufleuchten jedoch, wie das zweier funkelnder Augen, riss Esther wieder aus ihren Gedanken. Durch eines der Scheunenfenster hatte sie ein silbrig schimmerndes Licht wahrgenommen. Sie trat zu dem Fenster, um die Lichtkegel genauer beobachten zu können, doch auf einmal waren auch diese wieder verschwunden. Entschlossen verließ Esther die Scheune, mit dem Vorhaben, auf dem Hofgelände nach dem ungewöhnlichen Flackern Ausschau zu halten. Was ging hier nur vor sich? „Da, ich hab etwas gesehen!“, rief Elisa aufgeregt und deutete auf eines der Fenster. „Gerade als du die Stelle vorgelesen hast, habe ich dort draußen auch helle Lichter aufleuchten sehen!“, Felix richtete sich auf und blickte ebenfalls nach draußen. „Es sah aus wie ein Paar Augen. Augen, die uns beobachten!“, beteuerte Elisa mit bebender Stimme. „Ich kann nichts erkennen“, entgegnete Felix. „Bist du dir auch wirklich sicher?“ „Ja doch! Dort drüben bei der Hofeinfahrt!“, der Gesichtsausdruck der anderen war inzwischen ebenso ernst, auch wenn niemand der drei übrigen die leuchtenden Augen selbst gesehen hatte. „Lasst uns lieber die Geschichte weiterlesen“, schlug Tobias vor. „Vielleicht finden wir so heraus, was es mit den Lichtern auf sich hat.“ Elisa nickte, wenn auch zögerlich und Finja nahm den Faden wieder auf. Die starrenden Augen hatten sich ihren Weg durch die Finsternis gebahnt und musterten Esther genau. Sie spürte die Blicke auf ihrem gesamten Körper. Wie von einer fremden Macht angezogen, begann sie durch die Dunkelheit zu schreiten. Sie hatte keine Ahnung, wohin genau sie ging, das Einzige, was sie eindeutig wahrnahm, war, dass eine übernatürliche Kraft auf sie einwirkte. Das Flüstern, das sie zuvor auf dem Weg zu den Stallungen gehört hatte, wurde wieder deutlicher. „Esther“, hörte sie. Immer und immer wieder „Esther.“ Etwas oder jemand zischte ihren Namen und ganz automatisch folgte sie den gehauchten Worten. Unbewusst und ohne es zu merken ließ sie ihre Lampe fallen, verließ das Hofgelände und trat immer tiefer in den Wald. Da waren sie wieder, die leuchtenden Augen. Esther kam ihnen näher, Schritt für Schritt, bis sie ganz dicht vor ihnen stand. Es herrschte erdrückende Stille, jedoch nur kurz. Urplötzlich entfuhr Esther ein langer, ausgedehnter Schrei. Sie schrie voller Kraft, so laut sie konnte. Die Raben, die sich in den Bäumen zum Schlafen niedergelassen hatten, schreckten hoch und flatterten aufgeregt durch die dunkle Nacht. Selbst die Hofbewohner wurden von dem Schrei, der Mark und Bein durchfuhr, aufgeschreckt. Schnell schlüpften sie in ihre Mäntel und Stiefel, allen voran Esthers Vater, und machten sich auf die Suche nach dem jungen Mädchen, das nicht wie gewohnt friedlich in ihrem Bett schlief. Sie fanden die Lampe, die sie an der Hofeinfahrt hatte fallen lassen und begaben sich mit Fackeln und Gewehren bewaffnet in den Wald. Sie folgten der Spur, die Esthers nackten Füße auf dem Erdboden hinterlassen hatten und gelangten schließlich zu einem See, dessen Oberfläche im sanften Mondlicht silbrig schimmerte. Hier war es wieder zu hören. Ein leises Flüstern, das unaufhörlich „Esther“ krächzte. Die Suche nach ihr sollte allerdings erfolglos bleiben. Esther wurde nie wieder gesehen. Die Stimme, die den Namen des Mädchens raunte, versiegte nie, sondern erinnerte Familie Engelsbach jedes Mal wenn sie sich in der Nähe des Sees aufhielt an ihren schmerzhaften Verlust. „Das ist es, das ist das Ende der Geschichte?“, fragte Felix ungläubig. „Ich hatte mir ehrlich gesagt auch Tröstlicheres erhofft“, ergänzte Tobias. Finja klappte mit zittrigen Händen das Buch zu. Für einen Moment machte keiner der Freunde auch nur einen Mucks. Auf einmal war ein lautes Poltern zu hören. „Was war das?“, rief Felix. „Psst, sei still!“, sagte Finja. „Oder willst du etwa auf uns aufmerksam machen?“, Felix presste eine Hand auf seinen Mund und Elisa krabbelte tief in ihren Schlafsack hinein. „Was machen wir jetzt nur?“, fragte Tobias flüsternd. Von der unteren Etage der Scheune ging nun ein eindeutiges Scharren und Kratzen aus, das von allen der vier Freunde gehört wurde. „Da sind wieder die Augen!“, entgegnete Finja panisch, wenn auch mit gedämpfter Stimme und wies auf Scheunenfenster. Dieses Mal konnten sich alle von deren Anwesenheit überzeugen. Es war unübersehbar, wie die Gesichtsfarbe der vier in blasses Weiß umschlug. „Es ist diese übernatürliche Kraft, die in dem Buch beschrieben wurde. Sie will uns anlocken und zu sich holen, genau so, wie es bei Esther der Fall war“, sagte Elisa und versuchte ihr Gesicht in der Kapuze ihres Pullovers zu verstecken. „Das ist doch Blödsinn“, entgegnete Finja. „Meinst du?“, fragte Felix. „Also ich erkenne hier eindeutige Parallelen. Die Scheune, die Geräusche, die merkwürdigen Augen… Das ist doch kein Zufall!“ Ein erneutes Poltern unterbrach das Gespräch. Vor lauter Schreck entfuhr Tobias ein heller Schrei. „Pssst!“, wies Finja ihn erneut zurecht. „Wir müssen herausfinden, was es damit auf sich hat“, flüsterte sie. Felix schüttelte nur stumm den Kopf. „Denkst du etwa, die übernatürliche Kraft lässt mit sich reden?“, fragte Tobias und machte eine zerknirschte Miene. „Ich könnte ihr Kekse anbieten, als Friedensangebot.“ Elisa seufzte angestrengt „Das kann doch wirklich nicht dein Ernst sein“, prustete sie. „Aber wenn du dich damit anbietest voraus zu gehen, bitte, nur zu!“ Ehrlich gesagt war das alles andere als Tobias Plan. Er sah erneut aus dem Fenster und beobachtete, wie die leuchtenden Augen sich hin und her bewegten. Seine Freunde machten ebenfalls einen besorgten Eindruck, während die bedrohlichen Geräusche immer lauter wurden. „Wir müssen zusammenhalten“, sagte er schließlich. „Aber was genau können wir tun? Und vor allem wie?“ Die vier grübelten einen Augenblick lang und überlegten, welche Hilfsmittel sie zur Hand hatten, um die dunkle Kraft in die Flucht zu schlagen. „Ich hab’s“, äußerte Finja euphorisch. „In der Geschichte ist Esther so lange nichts passiert, wie sie ihre Lampe dabei hatte. Erst als sie diese verloren hat und in den Wald gegangen ist, hat die Macht sie in ihren Bann gezogen!“ „Du hast recht“, antwortete Elisa. „Das Licht muss der Schlüssel sein.“ Die Freunde waren sich einig. Nun, da sie dieses entscheidende Detail aufgedeckt hatten, konnten sie ihr weiteres Vorgehen planen. Das Rumpeln wurde indessen immer stärker und es hörte sich an, als würden die Türen und Wände der Scheune zerkratzt werden. Alle waren sich bewusst, dass sie nicht mehr allzu viel Zeit hatten. Daher musste schnell eine zündende Idee her. „Hast du noch diese Weingummischnüre?“, fragte Felix Tobias. „Wie kannst du denn jetzt nur ans Essen denken?“, wand Elisa ein. „Wir müssen schleunigst was-auch-immer von hier vertreiben!“ Felix rollte mit den Augen. „Ich weiß, deshalb frage ich ja danach.“ „Apfel oder Erdbeere?“, entgegnete Tobias und holte zwei ungeöffnete Packungen mit den Süßigkeiten aus seinem Rucksack hervor. „Ganz egal, Hauptsache Schnüre!“ Tobias reichte Felix die beiden Packungen und war gespannt, was dieser nun vorhatte. Mit geschickten Handgriffen begann er, eine Schnur an die andere zu knoten. „Wir basteln uns ein Seil“, erklärte er. „Daran können wir unsere Lampe festbinden und sie von hier oben aus ganz einfach nach unten lassen.“ „Das ist so simpel, dass es schon wieder genial ist!“, entgegnete Finja. „Hoffentlich reicht der Schein der Lampe auch aus, um den gesamten unteren Bereich auszuleuchten.“ „Wir werden sehen“, sagte Elisa. „Aber nun lasst uns mit der Mission beginnen. Der Lärm hört sich nämlich wirklich nicht danach an, als ob das, was-auch-immer da sein Unwesen treibt, uns friedlich gestimmt ist.“ Mutig kletterten die Freunde zur Kante des Heubodens. Felix hielt die Konstruktion aus Weingummischnüren und Lampe fest in seiner Hand und begann vorsichtig damit, diese in die Tiefe gleiten zu lassen. Der Schein, der von der Lichtquelle ausging, wirkte in der ausgeprägten Dunkelheit jedoch eher mickrig. „Könnt ihr schon etwas erkennen?“, flüsterte Elisa. Noch nicht, ich… doch, da! Seht ihr den Umriss?“, Tobias zeigte auf einen Schatten, der nur schemenhaft am äußeren Ende des Raumes zu sehen war. Finja kniff konzentriert ihre Augen zusammen. „Ja, da ist etwas!“ Felix beugte sich noch weiter vor und versuchte, die Lampe weiter in Richtung des Schattens zu schwingen. Elisa hielt ihn dabei fest, damit er durch diesen Balanceakt nicht das Gleichgewicht verlor. „Es reicht einfach nicht“, stellte er nach einigen Versuchen enttäuscht fest. „Unser Licht hier ist zu schwach, wir müssen irgendwie näher an den Schatten herankommen!“ „Ok, ich mach’s“, sagte Finja und ihre Freunde schenken ihr erschrockene Blicke, soweit sie es durch die schummrige Beleuchtung erkennen konnte. „Bist du dir sicher?“, fragte Tobias. „Ja. Von uns kenne ich mich hier in der Scheune am besten aus. Ihr solltet nur zusehen, dass die Lampe schön in meiner Nähe bleibt.“ „Hier“, sagte Felix. „Nimm die Taschenlampe. Sobald du die Leiter hinuntergeklettert bist, kannst du sie einschalten, um was-auch-immer zu verjagen.“ Finja nahm die Lampe entgegen und steckte sie vorerst in ihre Hosentasche. „Also dann … sagte sie und erhob sich von ihrem Patz. „Sei bloß vorsichtig“, raunte Elisa ihr zu. „Wenn etwas passiert, kommen wir sofort zu dir nach unten.“ Finja nickte ihren Freunden zum Abschied zu und machte sich leise auf den Weg zu der Holzleiter. Von dieser Perspektive aus sah sie, wie die Lampe in einem weiten Nichts herum zu baumeln schien und so auch die Gesichter ihrer Freunde kaum noch beleuchtet wurden. Sie nahm die ersten Sprossen der Leiter und spürte ein unangenehmes Kribbeln in ihrem ganzen Körper, als sie das Gefühl hatte, von der ausgedehnten Dunkelheit verschluckt zu werden. Doch jemand musste diesen rätselhaften Geschehnissen auf den Grund gehen. Als Finja auf dem Boden der unteren Etage angelangt war, straffte sie zunächst ihre Schultern, um sich etwas besonnener zu fühlen, als sie es eigentlich gerade war. Sie zückte das die Taschenlampe und hielt diese vor sich, wodurch sie ein wenig mehr Zuversicht gewann. Es nützte jedoch nichts. Sie musste sich dem mysteriösen Schatten weiter nähern, um herauszufinden, was es mit diesem auf sich hatte. Behutsam machte sie einige Schritte nach vorn. Je weiter sich Finja durch den Raum bewegte, desto lauter wurden die unheimlichen Geräusche. Sie vernahm eindeutig, dass sich in nur geringer Entfernung zu ihr tatsächlich etwas befand. Sie spürte Bewegungen und die nicht versiegenden Laute sorgten dafür, dass ihre Kehle ganz trocken wurde. Trotzdem ließ sie sich nicht davon abbringen, weiter dem Unbekannten entgegenzugehen. Sie schielte hinauf zum Heuboden und sah, dass sich ihre Freunde inzwischen eng zusammengekauert hatten. Mühevoll ging sie immer weiter. Es waren nur ganz kleine Schritte, die sie machte, stets mit dem schützenden Licht vor sich. Mittlerweile konnte Finja etwas in der Finsternis ausmachen. Einige Silhouetten tanzten über die Wände in dauerhafter Begleitung von einem Scharren und Kratzen. Es waren mehrere Schatten, die in der Scheune ihr Umwesen trieben. Finja spürte, wie sich eine Gänsehaut an ihren Armen aufstellte und wie ihr ein kalter Schauer den Rücken herunterlief. Bevor sie jedoch die letzten Meter zum Ende des Raumes ging, drehte sie sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand gefolgt war. Sie erleuchtete die Ecken und Winkel in ihrer unmittelbaren Nähe. Erleichtert stellte sie fest, dass sie keine fremde Gestalt und auch keine leuchtenden Augen ausmachen konnte. Nun war es also so weit. Die Luft hinter ihr war rein und ihre Freunde waren an ihrer Seite, wenn auch etwas weiter entfernt als ihr lieb war. Finja drehte sich erneut um und war nun dazu bereit, sich dem Spuk zu stellen. Gerade wollte sie den nächsten Schritt machen, da spürte sie etwas pelziges an ihrem Bein. „Ah!“, schrie sie auf. „Hier ist etwas, direkt bei meinen Füßen! Und es hat Fell!“ „Ein Monster!“, rief Tobias. „Hier in der Scheune wohnt ein Monster!“ Finja versuchte so schnell sie konnte das Monster mit ihrer Lampe zu verjagen, doch so plötzlich wie es erschienen war, war es auch wieder verschwunden. „Ich kann es nicht mehr sehen!“, rief sie. „Es ist auf einmal weg!“ „Warte, wir kommen jetzt auch nach unten“, sagte Felix entschlossen. „Wenn wir zusammenbleiben, kann es uns nichts anhaben.“ Die drei verließen ihre sichere Position auf dem Heuboden so schnell sie konnten und kletterten zu Finja hinunter. Nun standen sie zu viert ganz dicht an der Stelle, an der sich zuvor die Schatten bewegt hatten. „Nun lasst uns dieses Rätsel aufdecken“, sagte Tobias und holte die zweite Taschenlampe hervor. „Riecht ihr das eigentlich auch?“, fragte Elisa, die einige tiefe Atemzüge nahm. „Das sind doch…“ „Frikadellen!“, rief Tobias dazwischen. „Das sind meine Frikadellen, die noch von gestern übrig waren.“ Die Vier schritten noch weiter vor und nahmen inzwischen auch den starken Geruch der Frikadellen wahr. Zusätzlich war ein genüssliches Schmatzen zu hören. „Ist das nicht …?“, fragte Finja ungläubig und richtete das Licht auf eine der dunklen Ecken. „Humphrey! Du bist das!“, mit einem Mal erhellte Finjas Gesicht sich wieder und sie begann zu kichern. „Humphrey hat deine Frikadellen gefunden! Und ist da nicht auch … Bella!“ Die Freunde trauten sich nun wieder, sich etwas ungehemmter zu bewegen und erkannten so, dass Hofhund Humphrey und Katze Bella ihren Weg in die Scheune gefunden hatten. Anscheinend waren sie von dem Duft der Frikadellen angelockt worden, die Tobias vorhin auf dem Gepäckträger seines Fahrrades vergessen hatte. „Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen“, sagte Felix. „Und die beiden haben ganze Arbeit geleistet. Seht nur, sie haben es geschafft, die Brotdose zu öffnen, in der die Frikadellen waren und sich ebenfalls über eine Tüte Chips hergemacht!“ „Das hat also die merkwürdigen Geräusche verursacht“, ergänzte Elisa. Die Freunde lachten vor Erleichterung, als sie in die unschuldigen Augen der beiden Haustiere blickten. „Das nächste Mal achten wir besser darauf, ob du auch an deinen gesamten Proviant gedacht hast“, sagte Finja an Tobias gerichtet. „Ich konnte hier im Dunkeln vorhin ja kaum etwas erkennen. Da kann sowas schonmal passieren“, rechtfertigte sich dieser. „Ach, mach dir keine Gedanken“, ergänzte Felix. „Auf jeden Fall hatten wir dadurch einen ziemlich spannenden Abend.“ Alle waren sich einig, dass die Übernachtung auf dem Heuboden jetzt schon ein voller Erfolg gewesen war. Trotzdem waren sie mehr als froh, nicht von einer übernatürlichen Macht bedroht zu werden. „Aber etwas ist noch komisch“, warf Elisa ein. „Was ist mit den leuchtenden Augen, die wir draußen gesehen haben? Die können wir uns doch nicht alle eingebildet haben?“ Die drei stimmten ihrer Freundin zu. Trotzdem konnte sich keiner von ihnen erklären, was es mit den Augen auf sich hatte. Just in dem Moment, als noch betretenes Schweigen in der Scheune herrschte, klopfte es an dem Tor. Die vier sahen sich erschrocken an und niemand traute sich, sich zu bewegen oder auch nur einen Mucks zu machen. Noch bevor sie etwas tun konnten, rollte das Scheunentor zu Seite. Aus dem Augenwinkel erkannte Finja exakt dasselbe Leuchten, dass zuvor draußen von den mysteriösen Augen ausgegangen war. Gerade, als sie panisch zurückschnellen wollte, um sich mit einer Mistgabel zu bewaffnen, erkannte sie neben dem Leuchten noch etwas. Oder besser gesagt noch jemanden. Es war Manfred, der unweit des Hofes wohnte und gut mit Finjas Eltern befreundet war. „Hey ihr!“, begrüßte er sie. „Ich war noch zu Besuch bei Finjas Eltern und habe Licht in der Scheune gesehen. Ich wollte euch nur viel Spaß wünschen und fragen, ob ihr noch etwas braucht?“, Manfred war etwas verwirrt, als die Freunde zunächst in lautes Prusten und schallendes Gelächter verfielen. „Danke“, sagte Finja schließlich. „Wir haben alles.“ Manfred nickte und machte sich wieder auf den Rückweg. Neben ihm wedelte seine Beagle-Hündin Diva freudig mit dem Schwanz. Sie trug eines dieser Halsbänder, die in der Dunkelheit leuchteten, um Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer auf sie aufmerksam zu machen. Finja schloss das Scheunentor und die Vier machten es sich wieder ganz entspannt auf dem Heuboden gemütlich.


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