Eine meiner Anekdoten, ich möchte jedoch vorab erwähnen, dass sie ein etwas ernsteres Thema behandelt.
Bereits mit 16 Jahren habe ich mich in der Fahrschule angemeldet. Begleitendes Fahren mit 17, das hörte sich nach Freiheit und Unabhängigkeit an. Doch bevor es so weit war, musste ich noch die ein oder andere Prüfung bestehen, die sich nicht nur auf die offiziellen Programmpunkte innerhalb dieser Ausbildung beziehen sollte.
Irgendwann im Mai, nachdem ich bereits zahlreiche Theorie-Stunden hinter mich gebracht hatte, war es dann Zeit für meine erste Fahrstunde. Da sehr warme Temperaturen herrschten, trug ich eine kurze Hose und ein Top. In den theoretischen Unterrichtsstunden wurde zur Genüge von meinem Fahrlehrer erwähnt, dass eine Frau beim Autofahren niemals einen Minirock, ein kurzes Kleid, Sandalen oder (Gott bewahre!) hochhackige Schuhe tragen sollte. Pendants zu männlichen Autofahrern wurden nie benannt. Wahrscheinlich stellten für diese freie Oberkörper, der klischeehafte Ellenbogen, der aus dem Fenster hängt, oder Fußball-Stollenschuhe keine Hindernisse dar.
Trotzdem ging ich recht motiviert zu meiner Fahrschule. Mein Lehrer war ein alter Mann, zu dem Zeitpunk vielleicht sogar schon über 70 Jahre alt. Während wir in das Auto stiegen und ich meinen Sitz sowie die Rückspiegel einstellte, fragte er mich:
„Na, hast du schon einen Freund?"
Dabei grinste er mich verschmitzt an. Ich weiß nicht mehr, wie meine Antwort ausfiel, da ich einfach nur konzentriert mein Ding machen wollte. Ich wollte Autofahren lernen, keine Ahnung, was ein Freund damit zu tun hatte. Und falls ich keinen hätte: Wollte er mich dann fragen, ob wir nach der Fahrstunde gemeinsam ein Eis essen gingen? Ih.
Ohne weiter auf das Thema einzugehen, rollte ich aus der Auffahrt und tuckerte gemächlich über die Straßen. Ich weiß noch ganz genau, wie unglaublich sich dieses Erlebnis für mich angefühlt hat. Mein Bauch kribbelte angenehm vor lauter Aufregung. Wenn meinem Fahrlehrer irgendwas nicht passte, pampte er mich laut von der Seite an. Jedes Mal erhob er seine Stimme und giftete mich mit brüllender Stimme an, sodass die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern immer größer wurden. Wie aus dem Nichts hämmerte er gegen das Seitenfenster, um mich auf diese brachiale Art auf irgendetwas aufmerksam zu machen. Jedes Mal zuckte ich zusammen und zog den Kopf etwas tiefer zwischen meine Schultern. Schnell merkte ich, dass der Typ nur diese zwei Seiten hatte: Ekelhaft aufdringlich oder unfair und zornig.
Inzwischen war mein Gefühl der Überwältigung zunehmend reinem Stress gewichen. Zu allem Überfluss ließ auch meine Kleidung, die ich doch voller Bedacht gewählt hatte, im Stich. Die Träger meines Tops und BHs rutschten langsam von meiner Schulter, bis sie schlaff über meinem Arm hingen. Verdammt. Doch ich ließ mich nicht ablenken, konzentrierte mich auf die Straße und behielt beide Hände fest am Lenkrad. Hilfe sollte nicht lange auf sich warten lassen. Mein werter Beifahrer, äh Fahrlehrer, sah dies als eine Einladung, die Träger wieder auf meine Schulter zu schieben. Dabei kicherte und grinste er dümmlich. Verlegen lächelte ich die Situation einfach weg, wohlwissend, dass eine Grenze von mir soeben überschritten wurde, unfähig, auf eine andere Art auf die Situation einzugehen. Was hätte ich tun sollen? War er nicht bloß höflich? Nein, zumindest heute weiß ich, dass diese Aktion mehr als unnötig war. Aber mit 16 Jahren, sich in einer Art Abhängigkeit befindend, können einem die Dinge deutlich anders erscheinen. Heute würde der Typ ordentlich etwas von mir zu hören bekommen. Doch dafür ist es zumindest in meinem Fall zu spät. Stattdessen hatte ich zahlreiche weitere Fahrstunden mit diesem unangenehmen Kauz. Tops trug ich aber nicht mehr.
Irgendwann kamen auch Nachtfahrten hinzu, die im Mai/Juni aufgrund der langen Helligkeit wirklich sehr spät stattfanden. Auf einer dieser Nachfahrten waren wir gefühlte Ewigkeiten mitten im Nirgendwo auf Landstraßen unterwegs. Als ich keinen blassen Schimmer mehr hatte, wo genau wir uns befanden, sollte ich auf einem winzigen Rastplatz, auf dem lediglich eine Bank und ein Mülleimer standen, Halt machen. Um uns herum war es so dunkel, dass es schien, als wollten die umliegenden Felder und Wälder uns verschlucken. Kommentarlos stieg mein Fahrlehrer aus dem Wagen. Lähmende Panik baute sich in meinem Körper auf. Was machte der Typ jetzt? Wo ging er hin? Würde ich von dieser Nachtfahrt jemals wieder nach Hause kommen? Unbeschadet? Nach ungemütlichem Warten und Gedanken voller Todesangst stellte sich heraus, dass er nur schnell eine rauchen gegangen war. Toll. Hätte er das nicht einfach sagen können? Na ja, dass er nicht umgänglich war, wusste ich ja bereits. Glücklicherweise endete diese Nachtfahrt irgendwann und ich bekam die übliche Kritik zu hören.Tief durchzuatmen half mittlerweile nicht mehr, mein Stresslevel war stets jenseits von Gut und Böse.
Doch bald darauf war es so weit und meine (erste, Spoiler) Fahrprüfung stand an.
Ich war verdammt aufgeregt. Wie konnte es auch anders sein? Während der ganzen Fahrstunden wurde mein Selbstvertrauen immer weiter abgebaut. Doch es half nichts, da musste ich nun durch.
Vorab wurden Fragen zu den Autoreifen gestellt. Kein Plan, was das Minimum in Bezug auf die Profiltiefe angeht, aber damals konnte ich mein Wissen wie aus dem FF herunterbeten. Schnell versuchte ich noch, mit dem Prüfer zu scherzen, doch dieser ging nicht darauf ein. Dann ging die wilde Fahrt auch schon los. Der Prüfer, der auf der Rückbank saß, war mit einem Klemmbrett bewaffnet und machte ein Gesicht, als habe er eine Scheibe Zitrone mit Pfefferminzkaugummi verwechselt. Auf seinen Zetteln machte er sich eifrig Notizen, während er mit meinem Fahrlehrer fachsimpelte. Ich folgte den Fahranweisungen und fuhr durch meine Heimatstadt.
Meine erste „Aufgabe“ war dann das Einparken. Tja, was soll ich sagen? Ich war so nervös, dass meine Knie zitterten, sodass ich die Befürchtung hatte, dadurch die Kontrolle über die Kupplung zu verlieren. Meine Hände krampften sich um das Lenkrad und ich war nicht nur aus dem Grund schweißgebadet, dass mein Fahrer immer die Klimaanlage ausstellte (um Sprit zu sparen). Ich eierte um die Parklücke herum und wünschte mir, dass der Prüfer wegging, da er mich durchweg so fies anschaute. Ehrlich gesagt war ich mir inzwischen nicht mehr sicher, ob ich die beiden Mitfahrer aus dem Auto herausschmeißen, oder alles stehen und liegen lassen und weglaufen wollte. Meine Gedanken wurden von einem kleinen Rumps unterbrochen, da ich mit dem Hinterreifen gegen den Kantstein gefahren war.
„Was war das denn?“, sagte ich. Es war mehr an mich selbst gerichtet, ein Reflex und sollte vielmehr etwas wie „warum ist dieser dumme Kantstein auf einmal schon da?“ heißen. Doch in einer Prüfungssituation konnte ich ja schlecht mit wüsten Schimpfworten um mich werfen. Hinter mir und neben mir Augenrollen. Die Kämpferin in mir wollte in diese Parklücke, also setzte ich erneut an. Es war mir egal, dass der Winkel inzwischen richtig mies war, was nicht passt, wird passend gemacht. Kopfschütteln. Wildes Gekritzel auf den Zetteln. „Also, Frau Winter, ich kann sie so nicht bestehen lassen. Wenn Sie Ihren Fahrlehrer schon fragen müssen, ob das der Kantstein ist … Da muss ich Sie durchfallen lassen.“ Game over.
Ich dachte viel, sagte aber nichts. Die Angst wich dem Zorn, der immer intensiver in mir aufbrodelte. Die Fahrt zurück zum Ausgangspunkt war souverän und einwandfrei. Doch das interessierte niemanden. Zurück am Startpunkt angekommen, füllte der Prüfer seine Dokumente aus. Kein aufmunterndes Wort zu mir.
Wie gelähmt blieb ich auf dem Fahrersitz. Die Wut verkroch sich und machte Platz für Niedergeschlagenheit und Traurigkeit. Da saß ich, allein, heulte und niemand war für mich da. Mein Fahrlehrer stand draußen und machte Witze mit dem Prüfer und anderen Fahrlehrern.
„Diese dusselige Kuh, jetzt heult sie auch noch“, sagte er.
Leider bin ich nicht ohne ihn weggefahren, sondern machte mich gemeinsam mit ihm auf den Rückweg zur Fahrschule. Nach diesem glorreichen Termin ging es für mich dann in die Schule. Alle meine Klassenkameradinnen wussten, dass ich heute Fahrprüfung hatte.
„Und Gigi, wie war’s?“
Am liebsten hätte ich um mich geschlagen oder wäre im Erdboden versunken. Am nächsten Tag beschloss ich, die Fahrschule zu wechseln. Daraufhin rief mein Fahrlehrer mich an.
„Warum wechselst du die Fahrschule? Gibt es einen Grund?“
„Wenn ich zufrieden wäre, würde ich nicht wechseln.“ Wer war hier dusselig? Neue Fahrschule, neue Prüfung. Vorher wieder Fragen über die Autoreifen. Durchgefallen. Beim dritten Mal dann (kein Scherz, wieder Fragen über die Autoreifen) hat es geklappt. Warum ich von dieser Geschichte so lang und ausführlich berichte? Sie zeigt, wie entscheidend vermeintliche Nebensächlichkeiten für das Leben einer Person sein können. Hätte man einen jungen Mann in meiner Position genauso behandelt?
Ursprünglich hatte ich Lust auf die Fahrschule. Ich wollte etwas lernen und hatte das Gefühl, dass das Autofahren mir eigentlich Spaß macht. Doch diese positive Einstellung wurde mir genommen. Ich verband das Autofahren nur noch mit Stress und Angst. Selbst als ich meinen Führerschein in der Hand hielt, hatte ich nicht das Gefühl, wirklich fahren zu können. Mein Selbstbewusstsein in dieser Hinsicht wurde zerstört. Und dass bei einer Tätigkeit, die so alltäglich ist. Auf die man teilweise sogar angewiesen ist. Diese Menschen, die mich als junge Frau so schlecht behandelt haben, hatten mehr Einfluss auf meinen Alltag (bis heute), als sie vielleicht je gedacht haben. Noch heute denke ich in manchen Momenten beim Fahren an meinen alten Lehrer, der gegen die Fensterscheibe hämmert und ungefiltert seine Kritik zu mir brüllt. Doch inzwischen brülle ich zurück.
Ich habe mir mühsam das Autofahren zurückgenommen. Ich fahre sehr gut, meistens sogar gerne. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit.
2014, irgendwo in Frankreich, auf dem Weg an die Côte d’Azur.
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